Offener Brief zur Aktion vor der Roten Flora am 14.5.

Als interventionistische Linke (iL) Hamburg gehen wir hiermit auf ein Statement ein, das im Kontext einer kurzzeitigen Aktion an der roten Flora veröffentlicht wurde (https://www.anarquia.cat/hamburg-14-05-rote-flora-reoccupation-by-internationalists/). Wir möchten unserer Haltung zum Krieg in Gaza Ausdruck verleihen und für die Notwendigkeit argumentieren, sich als radikale Linke dazu zu verhalten.
Das Statement vom 14. Mai nimmt Bezug auf das diesjährige Gedenken an die Morde von Hanau. Im Vorfeld hatte die Initiative 19. Februar aus Hanau in diesem Jahr öffentlich kommuniziert, dass die Hinterbliebenen in Hanau keine Instrumentalisierung der Demonstrationen durch Positionen zum Krieg in Gaza wünschten (https://www.instagram.com/p/C3QWZu9sgqC/?igsh=MWM2cmE4YXNmeGx2eg==). Teil dieser Aufforderung war, keine Nationalflaggen zu zeigen und das Bedürfnis der Angehörigen nach einem würdigen Gedenken zu respektieren. Auch Genoss*innen unserer Gruppe haben mit den Familien getrauert, demonstriert und mit ihnen in Hanau direkt zusammengearbeitet. Deshalb haben wir den Wunsch der Initiative 19. Februar in das Hamburger Demo-Bündnis getragen und würden ihn auch heute wieder selbstbewusst vertreten.
Das Statement unterstellt uns weiterhin, kein Wort über den Krieg in Gaza verloren zu haben. Zwar ignoriert es Aktionen, bei denen wir uns zum Krieg verhalten haben. Angesichts des Grauens in Gaza verstehen wir aber, wenn dies nicht genug gewesen ist. Im Folgenden bezieht sich das Statement auf die 1. Mai-Demo von "Wer hat der gibt". Kritik an Ausdruck und Form dieser Demo ist uns willkommen, wir weisen jedoch die Anschuldigung zurück, zum Gaza-Krieg und zur Rolle des deutschen Staates geschwiegen zu haben. Auch auf dieser Demo haben wir in unserem Redebeitrag die Repression gegen Palästinenser*innen in Deutschland verurteilt. Daneben haben wir mit einer eigenen Kundgebung und einer Diskussions-Veranstaltung linke israelische, jüdische sowie palästinensische Positionen sichtbar gemacht und mit palästinensischen Frauenorganisationen und israelischen Friedensaktivist*innen diskutiert. Darin zeigt sich unser Anspruch, gemeinsam für das universelle Recht auf ein würdiges Leben für alle einzutreten – auch und gerade, wenn es abseits der polarisierten Haltungen im Konflikt keine Möglichkeit zu kritischer Solidarität zu geben scheint.
Wir teilen die Kritik an der deutschen Staatsräson, die das Leid der Palästinenser*innen nicht sieht und das Vorgehen des israelischen Militärs normalisiert. Empathie verdienen jedoch auch jene, die vom Terror des 7. Oktober betroffen sind. Es war und ist unsere Haltung, dass mit islamistischen Kräften wie der Hamas keine emanzipatorische Politik möglich ist. Der Kampf gegen Antisemitismus muss Teil einer progressiven Bewegung für eine freie Gesellschaft sein, in der jüdische Menschen ohne Angst vor Angriffen leben können (https://hamburg.interventionistische-linke.org/beitrag/fur-einen-gerechten-frieden-israel-und-palastina).
Unabhängig davon muss die Empörung über den Krieg in Gaza einen Ausdruck finden dürfen. Deshalb verstehen wir die Enttäuschung über einen Teil der deutschen Linken, die zur Unterstützung des Tötens von zehntausenden Menschen durch die deutsche Regierung keine Worte findet. Wir weisen aber darauf hin, dass sich im Markieren anderer Linker als Feinde – so berechtigt Kritik auch sein mag – letztlich eine sektiererische und autoritäre Politikform ausdrückt. Auf Empörung und social-media-Aufmerksamkeit ausgelegte Aktionen wie an der Flora lenken ab von dem Kampf, den wir jetzt führen müssen: gemeinsam gegen die deutsche Regierung und ihre Unterstützung für die Menschenrechtsverbrechen in Gaza protestieren. In der aktuellen politischen Gemengelage scheint es uns wichtig, weniger auf die Spaltungslinien innerhalb der Linken abzuzielen und vielmehr Verbindendes zu suchen. Als antiautoritäre Kommunist*innen eint uns das Begehren auf das Recht für alle Menschen, in Freiheit und Würde zu leben. Diese universelle Haltung herauszustellen, ist richtig, nicht das Spalten entlang von identitär gezogenen Linien. Vieles zur Situation einer mehrheitlich weißen, deutschen Linken und der pro-palästinensischen Bewegung haben unsere Genoss*innen in Berlin bereits zu Papier gebracht (https://interventionistische-linke.org/beitrag/zweites-statement-der-il-berlin-zum-krieg-israelpalaestina): Wir sehen dies als Teil einer fortlaufenden Auseinandersetzung mit dem Thema, die Reflexion und Selbstkritik beinhaltet und zeigt, dass wir die Diskussion auch dort suchen müssen, wo wir nicht zueinander finden.
Wir halten es für falsch, sich aus Angst vor Widersprüchen nicht zum Krieg Israels gegen die Palästinenser*innen zu äußern. Denn es ist nicht nur das menschliche Leid, was sich tagtäglich vor unser aller Augen abspielt, sondern auch der spezifische deutsche Kontext, der ein Handeln unbedingt erforderlich macht. In beispielloser Weise werden seit Monaten palästinensische Proteste kriminalisiert, es erfolgen staatliche Repressionen und öffentliche Hetze gegen linke jüdische und israelische Menschen sowie Kriegsgegner*innen. Veranstaltungen werden abgesagt und Räume entzogen. Soziale Einrichtungen werden geschlossen, weil die dort Arbeitenden propalästinensische Haltungen vertreten.
Wir haben es am 1. Mai gesagt und sagen es nun wieder: Es geht nicht darum, ob man jede Position der Proteste teilt. Man darf diese kritisieren und sich einmischen. Es geht darum, dass eine politische Gesinnungsprüfung zu staatlichen Verboten führt. Das erfordert unsere Solidarität auch gegenüber jenen, deren Aussagen wir inhaltlich eventuell kritisieren. Denn neben der hoffnungslosen Situation in Gaza ist es auch die Situation in Deutschland, die sich zuspitzt. Es müsste längst klar sein, dass die deutsche Staatsräson nur scheinbar dem Kampf gegen Antisemitismus dient. Wer denkt, dass die staatliche Repression bei den Palästina-Protesten haltmachen wird, irrt gewaltig: Der deutsche Autoritarismus wird sich auch derer bemächtigen, die sich insgeheim und fälschlicherweise über das Vorgehen des deutschen und des israelischen Staates freuen. Um es mit Angela Davis zu sagen: "If they come for me in the morning, they will come for you in the night." Repressionen gehen uns alle an, ob wir wollen oder nicht.
Staatliche Verbotspolitiken zeigen sich auch, wenn unsere kurdischen Freund*innen durch den deutschen Staat drangsaliert werden. Um dagegen aktiv zu werden, fahren wir am 6. Juli nach Hannover, um den 30. Jahrestag der Ermordung Halim Deners zu begehen. Das gehört ebenso zu unserem internationalistischen Selbstverständnis, wie gegen die Rüstungsindustrie und imperialistischen Interessen Deutschlands zu demonstrieren: Auch in diesem Jahr wird die iL am Camp von Rheinmetall Entwaffnen (3. bis 8. September in Kiel) teilnehmen. An diesen antimilitaristischen Protesten waren Genoss*innen der iL seit ihrem Bestehen an zentral beteiligt. Wir hoffen, viele von euch dort zu sehen und laden dazu ein, zum Austausch auf uns zuzukommen.
Lasst uns nicht nur dort gemeinsam aktiv werden. Denn es gibt viel zu tun: Für Gerechtigkeit und Frieden für alle Menschen in Israel und Palästina.
  • Waffenstillstand jetzt!
  • Alle Geiseln müssen freigelassen werden!
  • Sofortiger Stopp von Waffenlieferungen!
  • Gegen Rassismus und Antisemitismus!
  • Springer enteignen!
Interventionistische Linke Hamburg, 2.6.2024