Herzlich willkommen zur Podcast-Reihe „Corona - Krise – Kapitalismus“ der Interventionistischen Linken Hamburg. Mit dieser Podcast-Reihe wollen wir einen Blick auf die Klassenverhältnisse in der aktuellen Corona-Krise werfen. Denn auch wenn die Pandemie als „Naturkatastrophe“ erscheint, sind Menschen von den sozialen und gesellschaftlichen Folgen in ganz unterschiedlichem Maße betroffen.
Ob man als Pflegerin in einem existenziell notwendigen Sektor arbeitet, der mit einer extremen Überlastung konfrontiert ist; ob man als prekär Beschäftigter von einem Tag auf den anderen vor der Pleite steht; oder ob man trotz Gesundheitsgefährdung weiter mit vielen Menschen zur Arbeit gehen muss – die Auswirkungen der Pandemie treffen besonders jene Menschen stark, die lohnabhängig sind, eh schon in prekären Jobs arbeiten oder gesellschaftlich marginalisiert sind. Ungleichheit, Wohnungslosigkeit und andere Auswüchse des Kapitalismus werden in verschärfter Form sichtbar. In den kommenden Sendungen wollen wir verschiedene Facetten der sozialen Auswirkungen der Coronakrise in den Fokus rücken.
Agnes: „Ja, ich muss ja vorsichtig sein mit dem Wort scheiße, aber, ja, es war auch vorher nicht cool tatsächlich.“
Corona – Krise – Kapitalismus. Ein Podcast der Interventionistischen Linken Hamburg – Folge 1: Was geht eigentlich ab in den Krankenhäusern?!
Wie im Teaser schon angedeutet, wird es heute um unsere Krankenhäuser gehen, vor allem auch um das Thema Pflege. Krankenhäuser stehen in der gegenwärtigen Corona-Pandemie besonders im Fokus des öffentlichen Interesses. Die Gefahr einer Überlastung ihrer Infrastruktur steht drohend im Raum: dass es zu wenig Betten auf den Intensivstationen gibt, zu wenig Beatmungsgeräte verfügbar sind und vor allem zu wenig Pfleger*innen und Ärzt*innen zur Verfügung stehen. Wir möchten heute etwas genauer hinschauen. Dafür haben wir mit einigen Expert*innen gesprochen und uns gefragt: Wie sieht eigentlich ihr Klinikalltag aus? Welche Erfahrungen haben sie gemacht? Und was sind ihre politischen Forderungen?
Teil 1: Aktuelle Situation
Ich spreche jetzt mit Kirsche. Kirsche, Du bist Krankenpflegerin und im Hamburger Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus Vielleicht kannst Du einfach mal kurz erzählen, wie die Situation in den Kliniken sich aktuell darstellt.
Kirsche: „Also, sie stellt sich sehr unterschiedlich dar. In vielen Kliniken – ob jetzt öffentliche Träger, kirchlich oder auch private – werden die Betten runtergefahren, das heißt Patienten, die eigentlich einen Termin haben, einen geplanten Termin zu einer Operation, um sich auf die Krise vorbereiten zu können. Und in manchen Kliniken wird halt eben, werden diese Patienten weiter angenommen und halt auch operiert. Das finde ich nicht gut, weil die Kliniken sollten sich jetzt auf das konzentrieren, was da kommt. Viele Kolleg*innen, egal ob Ärzte, Pflegekräfte, Arzthelferinnen, Physiotherapeuten wollen sich auf das vorbereiten und wollen halt eben auch noch eine kleine Einarbeitung bekommen in die Beatmungsgeräte, wie man einen Menschen intubiert oder welche Hygieneregeln halt auch in der Pflege zu beachten sind, wie man sich schützt, welche Kleidung man anzieht, welchen Mundschutz man für was nimmt. Und das läuft in den Kliniken ganz unterschiedlich: In manchen läuft es sehr gut und in manchen halt gar nicht.
Gibt’s noch andere Maßnahmen, die Politik und Klinikbetreiber schon ergriffen haben?
Kirsche: „Also, die Klinikbetreiber, wie auch Politik, von deren Seite wird natürlich versucht, noch mehr Schutzmaterial zu bekommen, also das ist das, was glaube ich den Kolleg*innen in den Kliniken auch im Moment überwiegend diese Angst verbreitet, dass die Mundschutz-Materialien nicht ausreichen. Und dass die Kittel eben auch nicht ausreichen. Und dass sie sich darum nicht genug schützen können und dann in der Situation stehen: Arbeite ich weiter oder bleibe ich halt eben zu Hause, weil ich muss mich und meine Familie ja auch schützen… Und was ich finde, was die Krankenhäuser nicht machen und die Politik auch überhaupt nicht: Ich hätte jetzt eigentlich den Wunsch, dass hier die Versorgung der Menschen im Mittelpunkt steht, und zwar gar nichts anderes. Und das würde für mich bedeuten, dass kleine Kliniken halt jetzt gefragt werden müssten, welche Kolleginnen wären dann vielleicht auch bereit zu unterstützen in den anderen Krankenhäusern – ich glaube, das sind viele, von dem was ich mitbekomme. Die haben halt auch häufig Beatmungsgeräte. Die haben halt gut geschultes Personal, auch gut geschulte Reinigungskräfte, die wir jetzt unbedingt vermehrt bräuchten. Und halt eben auch diese Schutzausrüstung. Und da wäre irgendwie mein Verständnis, dass die Politik, wenn die Krankenhäuser nicht in der Lage sind, das untereinander selbst zu regeln, dass die Politik jetzt vorübergehend die Führung in den Gesundheitsunternehmen übernimmt und dafür Strukturen schafft, dass das gewährleistet ist.“
Also im Moment wird ja nach DRGs, also nach Fallpauschalen, abgerechnet, das heißt für Krankenhäuser ist es ja sehr verlustbringend, wenn sie ihre Betten freihalten und leer stehen lassen, damit die für eventuelle Corona-Fälle zur Verfügung stehen. Das heißt, wenn der Staat das entscheidet, dann wird ja auch nicht mehr nach Gewinninteresse entschieden, wenn ich das richtig verstanden hab?
Kirsche: „Ja, hast du völlig richtig verstanden. Also es geht jetzt hier nicht um Gesundheitswirtschaft und Gewinne und Abrechnen, es geht jetzt hier um die Gesundheitsversorgung irgendwie der gesamten Bevölkerung. Da steht uns eine Riesenaufgabe bevor, und da hat, haben solche Interessen irgendwie gar nichts zu suchen. Das hat zumindest vorübergehend jetzt total in den Hintergrund zu treffen, wobei ich persönlich der Überzeugung bin, dass es sowieso in öffentliche Hände gehört. Und das ist ja jetzt ein gutes, aber auch trauriges und schlimmes Beispiel, dass es ja anscheinend nicht funktioniert, wenn man nicht rechtzeitig für Strukturen sorgt, dass irgendwie alle, die sich mit Gesundheit und OPs beschäftigen, da jetzt mit einbezogen werden. Es kann ja nicht sein, dass in manchen privat geführten Kliniken womöglich die Patienten jetzt alle abgesagt werden und die Kollegen keine Arbeit haben, und woanders in den Krankenhäusern wissen die Kollegen nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht und die Patienten sind schlecht versorgt. Das ist ja irgendwie… also das ist ja krank! Das kann man sich ja eigentlich gar nicht vorstellen, dass das politisch zugelassen werden kann.“
Ja, das klingt auf jeden Fall gruselig. Dann danke ich dir ganz herzlich und hoffe, dass auch nach der Krise noch einiges passiert und hängenbleibt und wir weiter für eine gute Gesundheitsversorgung kämpfen können!
Kirsche: „Das werden wir auf jeden Fall weiter tun!“
Agnes: „Also, mein erster Eindruck war, ich hatte total Respekt davor anzufangen zu arbeiten, weil ich irgendwie in der Woche davor intensiv mich mit den Nachrichten aus Italien auseinandergesetzt habe und dann ja diese ganzen Schreckensnachrichten kamen und ich hatte echt wirklich Angst davor, was mich erwartet und hatte auch im Vorfeld schon mal Leute angerufen und gefragt, ob man mich irgendwie darauf vorbereiten könnte, aber keiner konnte so wirklich was sagen. Genau, dann war ich halt, am Montag hatte ich Frühdienst. Ja, es war sehr, sehr ruhig, es war wirklich so die Ruhe vor dem Sturm so ein bisschen. Und es war natürlich Thema Nr. 1 unter den ganzen Pflegerinnen und Pflegern. Genau. Gegen Mittag ist es ein bisschen hektischer geworden. Man merkt auf jeden Fall, dadurch, dass es einfach eine ungewohnte Situation ist, dass viele oder alle eigentlich auch irgendwie überfordert sind. Das ändert sich immer wieder, also es gibt immer wieder neue Anweisungen. Und dann ist halt immer noch so ein bisschen unklar, wie das mit den Abstrichen läuft: Wer kriegt einen Abstrich, wer kriegt keinen Abstrich? Dann werden manchmal Abstriche später erst vorgenommen, obwohl irgendwie dann doch Symptome da waren und es auch weitergeleitet worden ist. Man merkt, es ist noch sehr, sehr viel Unsicherheit.“
Das waren die ersten Eindrücke von Agnes. Sie ist Auszubildende in einer großen Klinik und hat vor zwei Tagen angefangen in der Notaufnahme zu arbeiten. Im Kampf gegen das Virus gehören Krankenhausbeschäftigte natürlich zu der Personengruppe, die besonders der Gefahr ausgesetzt ist sich anzustecken. Viele von ihnen klagen über zu wenig Vorbereitung, zu wenig Schutzausrüstung und zu wenig Transparenz. Hinzu kommen verschärfte Arbeitsbedingungen. Mit einer Allgemeinverfügung ermöglichte es der Hamburger Senat, die Arbeitszeit auf bis zu 12 Stunden zu verlängern und Ruhezeiten zu verkürzen. Agnes berichtet uns von ihren Bemühungen, deshalb als Auszubildende eine Gefahrenzulage zu bekommen.
Agnes: „Ich finde generell auch, dass jeder Mensch, der potenziell mit Corona-Infizierten arbeitet, ne Gefahrenzulage bekommen sollte und auch alle einfach in derselben Höhe. Also ich habe Zeitungsartikel gelesen, in denen drin steht, dass Ärztinnen und Ärzte, angepasst ans Gehalt halt dann natürlich, viel, viel mehr Gefahrenzulage bekommt. Und das ist totaler Bullshit, weil es ist nicht so, als wären die den Patientinnen und Patienten mehr ausgesetzt als wir. Ich meine, wir sind die Leute, die die Abstriche machen. Wir sind die Leute, die die isolieren. So. Wir arbeiten viel näher am Patienten und viel länger am Patienten. Und warum sollen dann Ärztinnen und Ärzte so viel mehr Geld bekommen als Examinierte als Auszubildende als zum Beispiel Reinigungskräfte? Also es ist so... völlig unfair.“
Teil 2: Hintergründe
Am 17. März berichtete die Hamburger Morgenpost über die Helios Endo Klinik in Altona. Trotz Empfehlung der Bundesregierung, planbare Operationen zu verschieben, würden dort weiter jede Woche bis zu 200 Knie-, Schulter- oder Hüft-Prothesen eingesetzt. „Es ist, als befände man sich im Krieg und würde Schönheits-OPs durchführen", kritisierte eine Beschäftigte. Ein anderer Klinikbetreiber, die Schön Klinik in Eilbek, bereitete sogar Kurzarbeit für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor, anstatt ihre Ressourcen zur Pandemiebekämpfung zu nutzen. In der aktuellen Krise treten Probleme besonders ans Tageslicht, die im deutschen Gesundheitssystem schon seit einigen Jahren zu beobachten sind: Die Privatisierung von Krankenhäusern geht einher mit einer Ausrichtung auf Wirtschaftlichkeit. Was zählt, ist also nicht mehr eine gute Versorgung kranker Menschen, die sich am Bedarf orientiert, sondern Operationen, mit denen sich Gewinn machen lässt. Wir haben darüber mit Laura von der Interventionistischen Linken Berlin gesprochen. Sie ist seit 2013 im Berliner Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus aktiv und engagiert sich auf bundesweiter Ebene im Bündnis Krankenhaus statt Fabrik.
Laura: „Der wesentliche Kritikpunkt ist die Ökonomisierung im Gesundheitswesen. Was wir damit meinen, ist, dass medizinische Entscheidungen vermehrt an ökonomischen Kriterien entschieden werden. Das heißt, es ist nicht so, dass das Geld zur Verfügung steht, um notwendige Leistungen zu bezahlen, sondern dass die Leistung dem Geld folgt. Also das heißt, wenn, dass Operationen oder medizinische Behandlung vermehrt deshalb durchgeführt werden, weil sie sich eben... gewinnbringend sind. Vor ungefähr 15 Jahren wurde die Finanzierung der Krankenhäuser auf Fallpauschalen, DRGs, umgestellt. Das heißt, ganz vereinfacht gesprochen, dass ein Krankenhaus für einen Fall, das heißt eine bestimmte Diagnose mit einem Behandlungsschema, eine Pauschale bekommt – unabhängig davon, was sie tatsächlich an Kosten haben. Das hat den Anreiz geschaffen, dass Krankenhäuser möglichst viele Fälle mit möglichst geringen Kosten behandeln. Und die Pflege, aber auch die übrigen Personalkosten, sind in diesem System eben reine Kostenfaktoren, an denen groß gespart wurde jetzt in den letzten Jahren.“
Die Folge ist das, was in der Öffentlichkeit immer wieder unter dem Stichwort Pflegenotstand thematisiert und beklagt wurde: Weil an den Personalkosten gespart wird, haben die Beschäftigten ein immer größeres Arbeitspensum, also vor allem eine gestiegene Zahl an Patient*innen, in der gleichen Zeit zu bewältigen. Die Verschärfung der Arbeitsbelastung führte zur Vernachlässigung der Hygiene, aber vor allem auch zu Stress, Burnout und dem massenhaften Ausstieg von Pfleger*innen aus dem Beruf. In den vergangenen Jahren haben allerdings auch die Proteste gegen diese Entwicklungen zugenommen. Zu nennen ist dabei vor allem der Streik an der Berliner Charité 2015, bei dem es zum ersten Mal um die Forderung nach einer tariflich festgelegten Personalbemessung ging.
Laura: „Das war eigentlich der Startschuss, mit dem es eigentlich der Pflegenotstand und auch die Forderung nach einer Personalbemessung so in die Öffentlichkeit geschafft hat. Das fing 2013 schon an, als die Beschäftigten der Charité mit dem Slogan „Mehr von uns ist besser für alle“ eingeladen haben die Zivilgesellschaft, ihren Streik zu unterstützen und als eine gesellschaftliche Auseinandersetzung zu führen, um eben eine verbindliche Personalbemessung in einem Tarifvertrag erstmalig zu erstreiken. 2013 haben wir angefangen. 2015 gab es dann den Streik, der dann tatsächlich auch zu dem ersten Tarifvertrag, Gesundheitsschutz heißt der, der es dahin geschafft hat, und seitdem sind glaube ich mittlerweile fast 15 andere Krankenhäuser dem nachgekommen und haben ähnliche oder sogar zum Teil noch bessere Tarifverträge oder Vereinbarungen mit den Arbeitgebern geschlossen.“
Sound-Einspieler „Mehr von uns ist besser für alle!“ (Demonstration zur Gesundheitsminister*innenkonferenz, Mai 2019 in Leipzig)
Neben der Streikbewegung entstanden in vielen Bundesländern Bündnisse für mehr Personal in den Krankenhäusern. Das Berliner Bündnis initiierte nach dem Streik an der Charité ein Volksbegehren, um die Forderung nach festen Personalschlüsseln auch gesetzlich zu verankern. Bündnisse in Hamburg, Bayern und Bremen starteten ähnliche Volksbegehren. Der Hamburger Senat weigerte sich allerdings, der Forderung entgegenzukommen und zog vor das Verfassungsgericht – mit Erfolg: Die Landesverfassungsgerichte in Hamburg und Bayern stoppten die Volksbegehren und verwiesen auf die neu eingeführten Pflegepersonaluntergrenzen auf Bundesebene. In Hamburg haben sich daraufhin Beschäftigte aus den Krankenhäusern entschieden, verstärkt auf Organizing zu setzen und sich mit ihren Kolleg*innen zusammenzuschließen. Eine von ihnen ist Leonie, die selbst als Hebamme arbeitet.
Leonie: „Die Hamburger Krankenhausbewegung ist eine selbstorganisierte Gruppe von verschiedenen Krankenhaus-Beschäftigten. Es sind Pflegekräfte aus den unterschiedlichsten Bereichen, Hebammen, Menschen, die im Transport arbeiten und in der Reinigung und auch Therapeutinnen organisiert. Wir haben uns gegründet, um für bedarfsgerechte Personalbemessung vor allem zu kämpfen, um wieder menschenwürdig unsere Patientinnen und Patienten pflegen zu können.“
Teil 3: Die Pflegebewegung und die Corona-Pandemie
Leonie: „Ja, mit der Aussicht auf die noch höhere Arbeitsbelastung, die jetzt dann auf die Kolleginnen und Kollegen zukommt bzw. jetzt schon auch gekommen ist, steigt weiterhin eher die Kritik an dem ganzen System und an den nicht vorausschauenden Handlungen, die gerade eben nicht vollzogen werden. Dass nicht präventiv sich eben jetzt auch auf die kommende Zeit vorbereitet wird, sondern weiterhin eben in bestimmten Krankenhäusern eben zum Beispiel die geplanten Operationen weitgehend durchgeführt werden und sich nicht konkret darauf vorbereitet wird, steigt eher auch der Frust und die Kritik daran. Und natürlich, das tägliche Klatschen jetzt in der Öffentlichkeit und auch das Loben aus der Politik werden auch sehr höhnisch quasi angeschaut, weil eben sich konkret an den Arbeitsbedingungen nichts direkt verändert. Und, für die Kolleginnen ist es gerade unheimlich wichtig sich auszutauschen, um eben überhaupt dem Arbeitsdruck auch weiter standzuhalten. Das findet Krankenhaus-übergreifend hier in Hamburg statt, gerade in sehr, sehr kurzen Abständen. Und dadurch werden dann auch täglich weitere Forderungen erarbeitet bzw. eben auch an die aktuelle Situation angepasst.“
Laura: „Also der Krisenmodus ist ja irgendwie seit Jahren Alltag im Krankenhaus. Und die Pflegekräfte, die jetzt irgendwie seit Jahren über der Belastungsgrenze schon arbeiten und sich zusätzlich in ihrer Freizeit noch für eine Personalbemessung eingesetzt haben, von der Politik ignoriert wurden und von ihren Arbeitgebern massiv unter Druck gesetzt wurden, die müssen jetzt in dieser Krise mit 12-Stunden-Schichten das Ganze irgendwie ausbaden und sind dementsprechend natürlich sauer. Vor allem wenn dann noch ein Gesundheitsminister irgendwie auftritt und sagt, wir seien gut vorbereitet, während es überall an Schutzmaterialien oder auch nur ausreichenden Testkapazitäten fehlt, um die Leute, die sich jetzt einem erhöhten Risiko aussetzen, auch irgendwie schützen zu können. Also würde ich sagen, das ist jetzt weniger Genugtuung, Bestärkung als einfach nur extrem frustrierend.“
Die Hamburger Krankenhausbewegung reagierte in der letzten Woche mit einer Pressekonferenz auf die aktuellen Entwicklungen. Seitdem appellieren sie mit Videobotschaften an die Öffentlichkeit, die Politik und die Klinikbetreiber.
Maik Sprenger: „Die Krankenhäuser müssen jetzt verantwortlich aber konsequent elektive Maßnahmen runterfahren.“
Britta Lewis: „Um mal ganz konkret beim Namen zu nennen, wo elektive Eingriffe munter weitergehen: Asklepios, hör auf damit!“
Maik Sprenger: „Wir brauchen erweiterte Krisenstäbe an den Häusern, in denen qualifizierte Vertreter der betroffenen Bereiche in eine wirkliche Krisenplanung einbezogen werden. Das ist gerade wirklich dringend notwendig!“
Britta Lewis: „Und an alle Krankenhäuser: Nehmt jetzt Geld in die Hand und stockt sofort das Reinigungspersonal deutlich auf, egal was es kostet! Und an alle da draußen: Wir bleiben für euch da, bleibt ihr für uns bitte zu Hause!“
Teil 4: Neue Aktionsformen in der Krise?
Auch Laura aus Berlin haben wir gefragt was in der aktuellen Situation passieren muss.
Laura: „Wir bleiben nach wie vor bei unseren Forderungen und müssen dafür natürlich jetzt unter extrem erschwerten Bedingungen kämpfen. Das heißt, also, man kann jetzt nicht mehr klassisches Organizing irgendwie über die Stationen machen, sondern muss sich neue Aktionsformen einfallen lassen. Aber gleichzeitig sehen wir auch, dass sich Möglichkeitsräume auftun, also wenn die Deutsche Krankenhausgesellschaft zum Beispiel fordert, die DRGs jetzt in 2020 auszusetzen, dann ist das natürlich eine weitere Diskreditierung von diesem Finanzierungssystem und da müssen wir natürlich gucken, dass wir jetzt mit dabei sind, wenn jetzt in der Krise die Weichen gestellt werden, wie das Gesundheitssystem nach der Coronakrise aussieht. Wir haben jetzt Berlin-weit, aber auch bundesweit schon Telegramgruppen erstellt, in denen Pflegekräfte aus verschiedenen Krankenhäusern drin sind. Also das heißt, da gehts erstmal darum, irgendwie die Informationen zusammenzusammeln, wie verschiedene Krankenhäuser eigentlich mit der Situation umgehen und so auch eine Erzählung von der Basis von dem Krisenmanagement und den Auswirkungen zu haben. Das zweite, was in diesen Gruppen passiert, ist, dass Zoom-Konferenzen organisiert werden, um gemeinsam Forderungen oder auch Aktionsformen zu entwickeln. Ein Ausdruck davon ist ja schon die Campact-Petition „Menschen vor Profite“, wo eine Pflegerin von der Charité ganz konkrete Forderungen stellt, wie jetzt in der Krise zum Beispiel der Gesundheitsschutz gewährleistet werden kann. Das heißt, es geht in diesen Organisierungen, würde ich sagen, jetzt darum, den Pflegekräften als Expert*innen von der Basis auch eine Stimme in der Öffentlichkeit zu geben und eben diesem ganzen Top-down- und relativ autoritären Krisenmanagement etwas entgegenzusetzen.“
Leonie: „Aktionen sind wahnsinnig wichtig, um jetzt die Forderungen der Beschäftigten aus den Krankenhäusern lautstark zu verbreiten und da den Druck auf die Politik und auf die Krankenhäuser eben zu erhöhen, damit auch wirklich die Forderungen umgesetzt werden – und zwar auch nachhaltig und nicht nur jetzt für die kurze Zeit. Sondern dass es ja eben auch um das System geht, was zu verändern ist, und nicht jetzt nur eine Notfalllösung, ja, umgesetzt wird. Dafür ist natürlich einmal ganz wichtig die schon veröffentlichten Forderungsvideos und die kommenden weiterzuverbreiten, zu teilen, aber auch eben mit allen möglichen Menschen darüber zu sprechen, dass das auch noch weiter bewusst wird und in die Köpfe geht, dass sich wirklich systematisch auch was verändern muss. Dass einfach unsere Gesellschaft mehr für das Gesundheitssystem auch an Geldern ausgeben muss und ein anderer Schwerpunkt gelegt werden muss. Und dann, ja, kann es ganz viele kreative Solidaritätsaktionen geben, denen sind keine Grenzen gesetzt.“
Teil 5: Nach der Krise - ein anderes Gesundheitssystem?
Die gegenwärtige Krise bietet auch die Möglichkeit, Überlegungen zu einem alternativen Gesundheitswesen anzustellen. Wir haben unsere Gesprächspartnerinnen deshalb gefragt, welche Maßnahmen sie für notwendig halten und wie sie sich ein Gesundheitssystem nach der Krise vorstellen.
Laura: „Also die Enteignung oder Entmachtung der privaten Krankenhäuser, auf jeden Fall, eine gute Lösung! Genauso wie, sage ich mal, die Ansätze da jetzt eine demokratische Planung der Versorgung vorzunehmen. Das heißt aber nicht nur, dass die Regierungen das top-down im Alleingang machen sollten, sondern ganz klar die Expert*innen auch von der Basis mit einbezogen werden müssten. Was Deutschland auch aus dieser Krise lernen sollte, dass private Krankenhauskonzerne, die irgendwie nach Gewinn streben in diesem System einfach keine verlässlichen guten Partner sind, um eine Versorgung sicherzustellen. Das eine ist, dass jetzt vermehrt Pflegekräfte oder auch andere Berufsgruppen in die Krisenstäbe der Krankenhäuser eingebunden werden. Das ist wichtig, um jetzt ein funktionierendes Gesundheitssystem in dieser Krise zu haben, mit dem Wissen, was die Beschäftigten selber ja auch zur Organisation von Versorgungsabläufen haben. Das ist aber auch wichtig für das Gesundheitssystem nach der Krise, um da eben eine Demokratisierung der Krankenhäuser und für die Bedarfsplanung schon mal einzurichten und zu etablieren. Das heißt, ich würde sagen, die Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten aller Berufsgruppen im Krankenhaus zu stärken, ist jetzt wichtig, um eben auch in ein demokratisches Gesundheitssystem danach zu kommen. Ich glaube die zweite Weiche, die jetzt gestellt wird, ist eben die der Finanzierung. Also wenn man jetzt dazu kommt, die Fallpauschalen tatsächlich in diesem Jahr auszusetzen, dann müssen wir natürlich dafür kämpfen, dass sie danach nicht wieder eingeführt werden und dass sie durch eine kostendeckende, bedarfsgerechte Finanzierung ersetzt werden. Das heißt, da schon die Weichen stellen für eigentlich im Prinzip ein Gewinnverbot im Krankenhaus und am liebsten natürlich auch im gesamten Gesundheitswesen, was dann auch zur Folge hätte, dass private Konzerne aus dem Gesundheitssystem verschwinden sollten. Und was ich mir sonst noch vorstelle für das Gesundheitssystem danach ist eben, dass jetzt vor allem die Gesundheits- und Care-Berufe, die ja jetzt als systemrelevant quasi diese Krise irgendwie für uns hauptsächlich schultern, dass die aus dieser Krise auch mit dem nötigen Selbstbewusstsein rauskommen, um danach das System auch auf den Kopf zu stellen und eben die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt zu stellen.“Kirsche: „Für mich stellt sich nochmal die Frage: Was ist eigentlich systemrelevant? Bisher waren es immer die Banken, die systemrelevant waren. Im Moment stellen wir aber fest, sehr bitter fest, dass die Kolleg*innen, die in den Kliniken arbeiten, die im Einzelhandel arbeiten und in vielen anderen Sachen, jetzt praktisch das System aufrechterhalten, dass wir noch was zu essen und zu trinken haben, dass wir sauberes Wasser haben. Also das sind doch irgendwie die, die eigentlich mehr in den Fokus gesetzt werden müssen, die besser bezahlt werden müssen und die eine vernünftige Personalausstattung brauchen. Und gut geschützt werden.“
Leonie: „Also, ich würde mir ein neues System wünschen, mit dem keine Profite erwirtschaftet werden können. Das heißt, keine privatisierten Krankenhäuser, dass nicht mehr der freie Markt das schon regeln wird, sondern dass es eben, ja, so ausgerichtet wird, dass man wieder nach dem Bedarf der Menschen arbeiten kann, ohne einen wirtschaftlichen Hintergrund im Kopf zu haben. Dass es eben auch eine Grundversorgung für alle Menschen gibt und nicht Menschen mit einer bestimmten Krankenversicherung anders behandelt werden als andere. Dazu gehört eben halt auch die Abschaffung der DRGs, also der Fallpauschalen, und ein anderer Finanzierungsplan. Und die Lehre der Gesellschaft ist eben, dass halt auch in Gesundheit investiert werden muss und dass es eine, ja, gesellschaftliche Aufgabe ist, das auch als ein Grundstein der gesellschaftlichen Versorgung irgendwie zu haben und dass das immens wichtig ist. Genau. Dann wäre mein Wunsch auch, dass es flachere Hierarchien gibt, also dass es nicht mehr so ein hierarchisches System ist, sondern dass es eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit auf Augenhöhe der verschiedenen Berufsgruppen zum Wohle der behandelten Menschen gibt.“
Agnes: „Meine größte Angst wäre tatsächlich, dass jetzt alle... Es ist total schön: Auf einmal werden die Pflegekräfte gesehen, es wird der Pflegenotstand gesehen, es wird geklatscht für uns – vielen Dank! Aber ich habe total Angst davor, dass danach einfach – weil natürlich auch super viele andere Schicksale jetzt entstehen werden und entstanden sind – dass es einfach total untergeht und dass es dann einfach weitergeht wie zuvor. Und ich meine, ich stehe da dann regelmäßig mit den altbekannten Gesichtern auf Demos und wir versuchen irgendwie superlange schon auf diesen Pflegenotstand hinzuweisen. Ich meine, ich arbeite... ich rede mit Kolleginnen, die sagen, dass sie seit den 70ern gegen den Pflegenotstand kämpfen und es ist einfach nichts passiert, und es wird immer, immer schlimmer. Und ich würde mir einfach wünschen, dass, ja, dass Jens Spahn seine sowieso schon wegoperierten Augenlider nochmal weiter nach oben rafft und einfach mal sieht, was da wirklich passiert und einfach auch mal auf uns hört. Und da gibts zum Beispiel gerade eine ganz coole Kampagne von der Krankenhausbewegung, wo eben verschiedene Pflegekräfte sagen: Hört auf uns! Und dann halt eben schildern, was passieren muss. Und dass halt eben ein reger Austausch kommt. Mehr Anerkennung. Mehr Pflegepersonal. Dass man nicht aus dem Frei einspringt. Dass man mehr Zeit für Patienten hat. Ich meine, keine Ahnung, jetzt ist es so, ich würde super gern mal ins Gespräch kommen mit einer Patientin, aber jetzt ist es einfach nur so: Hmm, ja, muss gewaschen werden, also so, völlig... nicht weswegen ich die Ausbildung gemacht habe. Ich habe mir das ganz, ganz anders vorgestellt. Und da muss sich halt einiges ändern.“
Jingle, Sprechchor: „Mehr von uns ist besser für alle!“