Florence: Du sagtest, wenn einem im Krankenhaus Sexismus widerfährt, erscheint einem die Situation im ersten Moment oft nicht als falsch: Patient*innen meinen ihr Verhalten oft nicht sexistisch.
Agnes: „Meinen“ ist ja so eine Sache. Oft begreifen sie ihr sexistisches Handeln nicht, sie realisieren in der Regel nicht, was sie damit eigentlich sagen und anrichten. Wir bekommen es ja auch alle so suggeriert, das gehört halt dazu, das ist schon okay. Gerade im Krankenhaus, bedingt durch die krassen Hierarchien und die Geschlechterverhältnisse, wirkt Sexismus für viele total natürlich, da schlägt das Patriarchat mal total zu. Wenn dann ein Arzt zu dir sagt „schickes Kleidchen, so solltest du öfter mal zu Arbeit kommen“ wird das von allen so hingenommen, man hat ja sogar ein Kompliment bekommen! Toll, man wird beachtet. Dabei ist es total absurd und sexistisch. Es wäre schön, wenn man solche Komplimente für gute Arbeit und nicht für gutes Aussehen bekommen würde.
F: Ich verstehe, was du meinst. Dieses ambivalente Abhängigkeitsverhältnis haben wir ja auch zu Patient*innen. In vielen Pflegesituationen ist man Patient*innen körperlich oft sehr nah. Obwohl sie in gewisser Weise von uns abhängig sind, interpretieren sie die körperliche Nähe falsch, nutzen sie gelegentlich aus, oder setzen uns bewusst herab. Eine Schulkollegin von mir bekam nach dem Positionieren eines bettlägerigen Mannes mal folgendes zu hören: „Du hast aber einen knackigen Hintern“. Sie empfand es als Kompliment und hat es uns total stolz in der Schule erzählt. Hier finde ich es wichtig darauf hinzuweisen, dass dies eben sexuelle Belästigung ist und Menschen aufhören sollen, sich so etwas schön zu reden.
A: Warum denkt sie denn, dass das ein Kompliment ist? Wir wurden so sozialisiert, dass es okay ist, Frauen auf ihren Körper zu reduzieren und der knackige Hintern etwas ist, womit sie sich dann identifizieren kann. Hätte sie es im Team angesprochen, wäre sie wahrscheinlich noch belächelt worden. Das ist richtig traurig. Der Patient hätte ja auch so etwas sagen können wie „Vielen Dank für Ihre tolle Arbeit, ich liege jetzt wieder richtig bequem“. So sollte Pflege wahrgenommen werden, so was sollte sie stolz in der Schule erzählen können. Pflegerische Expertise wird nur leider immer noch viel zu oft als „natürliche“ weibliche Eigenschaft und nicht als Profession wahrgenommen.F: Die patriarchalen Hierarchien, ausgehend von Geschäftsführung und Chefärzten (immer noch zu 87 Prozent Männer!), wirken sich hier auf den gesamten Berufsstand aus. Dieser strukturelle Sexismus äußert sich im Alltag dann häufig in diesen Machtspielen. Die Patient*innen sind zwar vom Pflegepersonal abhängig, wollen sich aber überordnen, weil „Pflege, dass kann ja jede*r“. Natürlich spielen dieses Spiel längst nicht alle Patient*innen, aber oft leider alte…
A: ... weiße Männer. Ganz ehrlich, sowas fängt doch schon damit an, dass Patient*innen einen Arzt niemals bitten würden etwas für sie vom Boden aufzuheben, aber sobald die „Schwester“ reinkommt, wird diese Bitte ausgesprochen. Das ärgert mich am meisten, wenn sie eigentlich selbstständig sind und das Heruntergefallene selber aufheben können. Reines Machtgehabe.F: In solchen Situationen fordere ich Patient*innen immer auf, z.B. das Heruntergefallene selber aufzuheben. Das scheint mir jedoch auch eine Frage des Alters und Selbstbewusstseins zu sein, viele meiner jungen Mitschüler*innen trauen sich so etwas nicht.
A: Ja klar, weil sie denken, du musst das machen. So ist das in einem Care-Beruf. Selbstverständlich kümmerst du dich um alles und jede*n. Das wird einem ja oft nicht klar gemacht, dass du deine Grenzen klar und deutlich ziehen kannst. Wenn du Glück hast, hast du ein starkes Team oder ein*e gute Anleiter*in, die in solchen Situationen hinter dir stehen und dich bestärken.F: Total, ich finde, dass so was aber auch in der Schule besprochen werden muss. Klar haben wir kollegiale Besprechungen, wo wir unsere Praxiseinsätze untereinander besprechen, aber dort werden dann eher schlimme Krankheitsbilder und -verläufe besprochen oder Probleme, die es im Team auf der Station gab, aber der Umgang mit sexistischen Situationen geht total unter. Es muss Pfleger*innen bewusst gemacht werden, dass sie das Recht haben, Aussagen zu hinterfragen und nicht abzutun und sich einzureden „ach, das meint die Person nicht so“.
A: Ja, das ist ein merkwürdiges Professionsverständnis und eben auch Selbstverständnis. Du musst dir bewusst machen, dass du Ahnung hast und Arbeiten erledigst, die nicht mal eben jeder ausführen kann. Ohne uns würde im Krankenhaus gar nichts mehr laufen. Pflege ist schon ein krasser Job. Du musst eine ganze Menge können und wissen, aber das wird eben oft nicht als Arbeit wahrgenommen, sondern meist als „die kümmert sich halt“ abgetan...F: ... „die wischt ja nur den Arsch ab“.
A: Das macht mich oft richtig wütend, diese geheuchelte Anerkennung „cool, dass du das machst, aber ich könnte das ja nicht“. Damit gemeint ist dann aber nicht die Empathie, die Zwischenmenschlichkeit, die Koordination komplexer Abläufe, das Überblickbehalten, das Einschätzen von kritischen Situationen. Was damit gemeint ist „ich könnte das nicht, Arsch abwischen“...F: Schade, dass das Verständnis in Deutschland so ist. Wenn ich Freund*innen im europäischen Ausland von meiner Ausbildung erzähle, reagieren diese immer sehr positiv und unterstützend.
A: Ja, die Erfahrung habe ich auch gemacht. In anderen Ländern haben Menschen da großen Respekt vor. Und ich glaube auch, dass dieser Sexismus im Krankenhaus eben sehr viel mit Hierarchiestrukturen zu tun hat. Macht bewirkt so oft, dass man vieles hinnimmt und sich nicht wehrt.F: Aber meinst du, dass liegt daran, dass die Ausbildung in anderen Ländern oftmals ein Studium beinhaltet und es dadurch weniger krasse Hierarchien gibt?
A: Ja, Care-Berufe sind in unserer Gesellschaft immer noch nicht so anerkannt wie andere Berufe. Das Studium kann natürlich gleich ein ganz anderes Professionsverständnis mit sich bringen. Das Wichtigste ist aber, dass wir uns unserer Rolle, unserer Fähigkeiten und Kenntnisse bewusst werden, um klar Position zu beziehen. Wir müssen zusammenhalten, uns gegenseitig bestätigen und bestärken, in grenzüberschreitenden Situationen den Mund aufzumachen. Wir müssen füreinander einstehen und uns nicht gegenseitig belächeln. Wir müssen uns für unseren Beruf stark machen und mit allen Menschen im Krankenhaus auf Augenhöhe kommunizieren können. Damit meine ich Patient*innen genauso wie Ärzt*innen, Reinigungspersonal, Pflegedienstleitung, Sozialarbeiter*innen und Geschäftsführung.
PS: Das Interview ist in der aktuellen Ausgabe von »iL Giornale«, der Zeitung der Interventionistischen Linken Hamburg erschienen. Die Ausgabe mit Schwerpunkt feministische Kämpfe findest Du im Schanzenbuchladen, im Infoladen Wilhelmsburg , im Centro Sociale in Hamburg und bei Veranstaltungen der IL Hamburg.